Freitag, 1. September 2017

Vorschau auf die Spielzeit 2017/2018

Jede Jahreszeit gibt verschiedenen Anlaß für Freude im Herzen, im Spätsommer kommt der Beginn der neuen Theatersaison hinzu. Worauf kann man sich in der bevorstehenden Spielzeit des Badischen Staatstheaters freuen? Wird endlich wieder mehr Bemerkenswertes gelingen? Zweifel sind leider angebracht. Wenn man die letzten Jahre kurz zusammenfassen wollte (hier sind sie es etwas ausführlicher), dann könnte man von defizitären Intendanz der Herabwirtschaftung und Stagnation sprechen. Während der Intendanz von Peter Spuhler wurde die Vielfalt des Opernprogramms drastisch reduziert, das Schauspiel sackte die ersten Jahre in eine schwere qualitative Krise ab und konnte sich erst durch Ziehen der Notbremse und der Absetzung des damaligen Schauspieldirektors Jan Linders wieder stabilisieren und das Ballett stagniert (es wurde zwar nicht gestärkt oder besser gestellt, aber auch nicht geschwächt und dezimiert). Diese Tendenzen setzen sich auch in der kommenden Spielzeit fort.
 
Vor dem Ausblick ein Rückblick

Peter Spuhler gab am Ende der letzten Spielzeit eine Entwarnung, trotz seiner problembeladenen und nicht überzeugenden Intendanz scheint es am Badischen Staatstheater noch keine Folgeschäden zu geben: „Der Ruf Karlsruhes in der deutschen Theaterlandschaft ist derzeit exzellent“, verteidigte sich der Intendant. In der Selbstbeweihräucherung erinnert Intendant Spuhler schon mal an Donald Trump, beide finden ihre Amtsführung großartig und erfolgreich, beide stellen sich gerne selber übertriebene Zeugnisse aus und glauben, daß ihr eigenes und sehr persönlich-ideologisches Süppchen auch allen anderen zu schmecken habe, beide müssen öfters Personal austauschen bzw. ersetzen und Protest aus eigenen Reihen gegen sich erfahren, beide geben Begriffen seltsame Bedeutungen und scheinen die Wertigkeiten ihres Metiers nicht immer zu kennen. Spuhlers "Theater für alle" ist bspw. eine Worthülse für segmentierendes Klienteltheater, das nicht öffnet, sondern ausgrenzt, der Versuch das "Volkstheater" auf Kosten der bestehenden Sparten zu etablieren, verkennt die Wichtigkeit der Hochkultur und überschätzt maßlos das Laientheater, das als Kooperation mit der Volkshochschule eine gute Ergänzung darstellen könnte, als eigene Sparte mit verschwindend geringer Zuschauerzahl aber eine leichtfertige und überflüssige Verschwendung von Steuergeldern ist, die Oper und Ballett fehlen.

Es gibt einen positiven Aspekt: das Karlsruher Publikum ist treu, der Rückgang der Zuschauerzahlen ist nicht so dramatisch, wie einige zuletzt geschätzt hatten, man hält anscheinend knapp das Niveau, wie ein Vergleich der drei letzten Spielzeiten mit dem Jahrzehnt zuvor belegt:

2004/05: 298T   -    2014/15: 293T
2005/06: 299T   -    2015/16: 299T
2006/07: 289T   -    2016/17: 280T

Seitdem man während der Intendanz von Peter Spuhler begonnen hat, auch theaternahe Veranstaltungen und Führungen in die Zuschauerstatistiken mit aufzunehmen und damit Besucher zu zählen, die keinen Eintritt bezahlen, ist es schwierig geworden, an korrekte Zahlen zu kommen. Das Badische Staatstheater hat unter Intendant Spuhler immer die geschönten Höchstzahlen verwendet, diese Angaben sind mit den Vorjahren nicht vergleichbar. Der Dank gebührt den Badische Neusten Nachrichten, die die obigen Zahlen der letzten Jahre bereinigt veröffentlicht haben.

Schauspiel
12 Premieren stehen bevor. Wer glauben wollte, daß das Karlsruher Schauspiel Goethes Faust (Premiere 28.09.2017) und ETA Hoffmanns Märchen Der goldene Topf (ab 23.11.2017) auf die Bühne bringt, weil man dachte, eine besondere Idee und etwas Wichtiges zu sagen zu haben, mußte enttäuscht feststellen, daß es trivialere Gründe gibt. Beide Werke sind zentrale Abiturthemen 2019, man inszeniert im Hinblick auf hohe Schülerzahlen, die in den kommenden 18 Monaten durchgeschleust werden sollen. Man kann nur hoffen, daß man sich Mühe gibt und keine lediglich mit Blick auf die Schüler konzeptionierte Banalitäten oder Halbherzigkeiten produziert. Beide Inszenierungen sollten wichtige Saison-Höhepunkte werden, Ausreden gelten nicht!
Ein Saison-Höhepunkt kündigt sich mit Terrence McNallys Komödie Meisterklasse (ab 08.10 2017) an, ein Stück über Maria Callas, die von Annette Büschelberger gespielt wird (und die das bereits zuvor erfolgreich getan hat). Das ist interessant für Opern- und Schauspielpublikum – bei einer gelungenen Inszenierung ist Publikum und Mundpropaganda gefordert, um möglichst viele Zuschauer zu aktivieren.
Von Tiger und Löwe über die kommunistischen Säuberungswellen der Stalinzeit, eine Uraufführung (ab 06.05.2018) der beiden georgischen Theatermacher Data Tavadze und Davit Gabunia, darf man sich überraschen lassen. Mit Tennessee Williams Familiendrama Die Glasmenagerie (ab 17.06.2018) und Ferenc Molnárs Hallodridrama Liliom (ab 23.06.2018) hat man im kommenden Sommer zwei weitere renommierte Werke im Angebot.
Timo Tank ist wieder zurück im Karlsruher Ensemble. Ob sein fast einstündiger Monolog in Lot Vekemans Judas (ab 27.09.2017) mit Bedacht gewählt wurde, muß sich zeigen. Daß Tank eine bemerkenswert gute Interpretation bietet, steht ohne Zweifel, ob sein Können mit Judas verschleudert wird, bleibt abzuwarten.
Vorsicht ist bei den aktuellen Themen geboten, man überhitzt und verheizt im Karlsruher Schauspiel gerne interessante Themen und reduziert sie auf ihre Oberflächen. Ob sich Falk Richters Safe Places (ab 21.0917) und Lutz Hübner/Sarah Nemitz‘ Willkommen der Flüchtlingskrise ohne Scheuklappen widmen, bleibt abzuwarten. Chris Thorpe hat in der letzten Spielzeit schwer enttäuscht, ob Bestätigung (ab 14.11.2017) besser ist, darf man anzweifeln. Bei Ayad Akhtars Komödie Afzals Tochter (ab 01.12.2017) über die kulturelle Ungleichzeitigkeit bzw. Rückständigkeit des Islam bleibt abzuwarten, ob und wie man moslemische Pakistanis mit deutschen Schauspielern gerecht wird. Mit Abfall der Welt (15.02.18) des Österreichers Thomas Köck gibt es weiterhin eine Uraufführung ungewissen Charakters und Themas.

Ballett
Intendant Spuhler hat dem Ballett für die kommende Spielzeit anscheinend die Gelder gekürzt. Keine einzige Premiere steht in der kommenden Spielzeit bevor (- wann gab es das zuletzt?), es gibt nur Wiederaufnahmen, aber dafür besonders spannende! Prokofjews musikalisch großartiges Ballett Romeo und Julia in der beeindruckenden Choreographie von Kenneth Macmillan (ab 18.11.2017), Youri Vámos' amüsanter Sommernachtstraum mit Musik von Mendelssohn (ab 28.04.2018) und die Choreographie des verstorbenen langjährigen Karlsruher Ballettdirektors Germinal Casado zu Carl Orffs Carmina Burana mit Live-Orchester, Sängern und Chor (ab 13.04.2018), die dem Karlsruher Staatsballett nach Casados Tod vermacht worden ist.
  
Oper
Angesichts des Desinteresses, der Halbherzigkeit und der Abschaffung der programmatischen Vielfalt in der Oper sei erneut an die in Vergessenheit geratene Tradition erinnert, Fehlbesetzungen mit überreifen Tomaten und faulen Eiern von der Bühne zu verjagen. Deshalb fliegen hier alle elektronisch-virtuell verfügbaren Wurfgeschosse in Richtung der Intendanz für diese Herabwirtschaftung. Der nächste Karlsruher Intendant kann aus den Fehlentscheidungen und Irrtümern von Intendant Spuhler eine wichtige Lektion lernen: Aufrichtigkeit und Transparenz im Umgang mit den Zuschauern zeugen von Format! Spuhlers Strategie (meines Erachtens kann man sie damit zusammenfassen, daß er sein Publikum für dumm verkauft) bestand darin, immer nur das zu sagen und schreiben, was ihn vermeintlich in gutes Licht setzte und die Konsequenzen zu verschleiern und verheimlichen. Auch als Intendant agiert man nicht alternativlos, sondern wägt ab. Nur aus eigenen Karrieremotiven zu agieren, das aber blumig-wortreich zu verpacken und hoffen, daß das Publikum nichts bemerkt, ist keine zielführende Taktik. Wer Volkstheater kommentarlos in ein Schauspielabo steckt und die Preise nicht senkt, wer eine konzertante Oper ohne Preisnachlaß als Abo-Veranstaltung ohne Nachlaß verkauft und sich nicht beim Publikum für diese Maßnahme entschuldigt, der darf sich nicht wundern, wenn deutliche Worte für diese unverhohlene Täuschung fallen.

Mit der Götterdämmerung (ab 15.10.2017) endet ein visuell aufwändiger, inszenatorisch belangloser und sängerisch sehr durchwachsener Ring, der bisher nur einen Gewinner kennt: Justin Brown und die Badische Staatskapelle. Der Orchestergraben ist der Star. Das Inszenierungsteam Kratzer/Sellmaier wertet den Ringabschluß hoffentlich auf, nach ihren bisherigen Karlsruher Arbeiten kann man erwarten, daß es doch noch eine überraschende und gehaltvolle Inszenierung geben könnte. Drei verschiedene Sänger hat man für die Rolle des Siegfried engagiert: Daniel Brenna, Daniel Frank und Torsten Kerl.
Verdis Simon Boccanegra (ab 20.01.2018) -schon wieder!, nicht gerade Verdis beliebteste Oper und erst im letzten Jahrzehnt im Spielplan- kommt erneut. Wie unoriginell .... Charles Gounod und sein Roméo und Juliette (ab 11.02.2018) sind auch noch nicht so lange her. Intendant Spuhler wollte anscheinend nicht auf seine vermeintlich karrierenützlichen Prestigeprojekte verzichten und hat der Oper das Geld gekürzt - das Publikum wird die Oper konzertant ohne Bühne überstehen müssen. Nichts spricht gegen konzertante Oper, vor allem Werke, die man selten hört oder für die eine Inszenierung schwierig ist, können so einem interessierten Publikum präsentiert werden - beides trifft hier nicht zu. 
Bei Händels Alcina spricht alles für einen Erfolg. Aber Alcina kommt ein Jahrzehnt zu früh. Schade, daß man nicht am Abschluß des ersten Händel-Zyklus weiterarbeitet, nur noch wenige Opern fehlen zur Vervollständigung. Alcina war 1978 die erste Oper bei den ersten Karlsruher Händel-Festspielen, in einigen Jahren bei den 50. Festspielen wäre sie zur Eröffnung des zweiten Zyklus prädestiniert gewesen. Kurzsichtig und ungeschickt, daß man sich diese Option ein wenig verbaut hat.

Im März, April und Mai 2018 finden keine Opernpremieren statt! Irgendwie mutet das symptomatisch an für den Umgang mit der Oper in den letzten Jahren.

Nach dieser Pause müßte man mit Donzettis Anna Bolena (ab 03.06.2018) ein Sängerfest erwarten, obwohl bereits manche Stimmfachleute darauf aufmerksam gemacht haben, daß man die passenden Stimmen für die Titelrolle sowie Jane Seymour nicht wirklich im Ensemble hat. Sutherland und Callas sangen einst die Titelrolle, vor wenigen Jahren in Wien sangen Anna Netrebko und Elina Garanca die beiden Rivalinnen. Große, dramatische Stimmen sind erforderlich. In Karlsruhe sollen als Gäste Shelley Jackson und Ewa Plonka den Erfolg sichern.
Mozarts Jugendwerk Lucio Silla (ab 08.07.2018) wird erneut von Tobias Kratzer in Szene gesetzt. Nachdem die Badische Staatskapelle mit dem Gastdirigenten Gianluca Capuano einen großartigen Titus musizierten, darf man auch hier einiges erwarten.
 
Operette & Musical 
Die diesjährige Operette ist Spitzenreiter im Musiktheater: 15 mal setzt man sie in der kommenden Saison aufs Programm. Ob Die lustigen Nibelungen von Oscar Straus ab dem 15.12.2017 lustig werden, bleibt abzuwarten. Hair - das wahrscheinlich beliebteste Musical der Pop-Kultur bringt ab 17.03.2018 die Hippies zurück und wird in den folgenden vier Monaten im Großen Haus 12 mal gezeigt (mehr dann 2018/19). In beiden Fällen hofft man auf einen großen Publikumserfolg, wahrscheinlich werden beide szenisch aufwändige Investitionshöhepunkte der Saison.