Freitag, 22. Juli 2016

Zwischenbilanz: Schwache erste Halbzeit - 5 Jahre Intendanz Spuhler

Stets bemüht ist nicht gut genug
226 mal habe ich in den vergangenen fünf Spielzeiten Vorstellungen des Badischen Staatstheaters besucht und den unguten Eindruck bekommen, daß etwas verloren gegangen ist, Kürzung und Defizit sind Kernbegriffe dieser Wahrnehmung, ein "weniger", leider oft ein "schlechter", ein quantitativer und qualitativer Abbau. Wenn man die wenigen positiven Aspekte der Intendanz Spuhler betrachten will, kann man die Jahre von 2011 bis 2016 allerdings auch als die Geschichte einer Intendanz erzählen, die sich bemüht, Anschluß zu bekommen und bei der tatsächlich Lerneffekte bemerkbar sind, vor allem durch erhöhte Sorgfalt für die Bühnenarbeit sowie durch Austausch einiger Mitarbeiter. Nun kann man zwar zu Recht einwenden, daß die hohe Fluktuation an zentralen Stellen (bspw. Austausch der Spartendirektoren in Oper und Schauspiel, viele Wechsel in der Dramaturgie, fast kompletter Austausch des Schauspiel-Ensembles) nicht einer Qualitätsinitiative "von oben" geschuldet ist, sondern auch ein Weggehen derer beinhaltet, die erkannt haben, daß andernorts eine bessere Perspektive besteht. Die Fluktuationen sprechen nicht für den Intendanten, so oder so erscheinen die ersten Jahre von Mißverständnissen geprägt, die keine personelle Konstanz und Entwicklung zuließen. Allerdings scheint mir ein Bemühen um Format und Substanz erkennbar, man hat sich verstärkt, die Qualität der Vorstellungen ist wieder besser geworden, es scheint wieder mehr Rücksicht auf künstlerische Aspekte gelegt zu werden. Dennoch wird Intendant Spuhler es kaum noch schaffen, daß man seine Tätigkeit in Karlsruhe rückwirkend positiv betrachten kann, in Erinnerung bleiben Defizite, Probleme, falsche Wertigkeiten sowie Fehlentscheidungen.
      
Die überforderte Intendanz
Theater ist harte Arbeit und stete Mühe. Jahrzehntelang war das allerdings in Karlsruhe kaum bemerkbar, und man kann die Geschichte der Übernahme der Generalintendanz durch Peter Spuhler als Verlustgeschichte erzählen. Man konnte deutlich bemerken, wie der Theaterleitung die Fäden aus den Händen entglitten und zentrifugale Fliehkräfte die mittelpunktsgerichteten Zentripetalkräfte überlagerten. Wer genau hinblickte, konnte nicht umhin, überrascht festzustellen, wie orientierungslos, hilf- und ratlos eine Intendanz wirken kann, wie vordergründig und wichtigtuerisch oberflächlich konzipierte Programmpunkte sein können, wie ironiefrei und humorlos Theater wird, wenn es anscheinend nur noch Mittel zum Zweck der Karriere ist, wenn man nur noch Themen bedient, um sie in den eigenen Lebenslauf schreiben zu können, wenn man ständig Coups produzieren will und dabei zu oft die Außendarstellung im Blick zu haben scheint. Doch gerade das hat bisher nicht funktioniert: die Intendanz wäre allem Anschein nach gerne bereits schon wieder weg aus Karlsruhe, doch man hört, daß die Bewerbungen nur Absagen erfuhren. Was eine Theaterredakteurin der Süddeutschen Zeitung 2010 bemerkte, trifft es meines Erachtens genau: Das Duo Spuhler/Linders vermittelt den unguten Eindruck, daß es hauptsächlich um den Betrieb, um die “Marke”, weniger um die Sache und Qualität geht.

Die programmatisch herabgewirtschaftete Intendanz
Man kann die Geschichte der aktuellen Intendanz als Verödung erzählen. Es gab früher den Brauch, mit Wurfgegenständen wie bspw. Tomaten jene von der Bühne zu verjagen, die dort nichts zu suchen haben. Wenn ich mir anschaue, wie ein einst vielfältiges Opernprogramm am Badischen Staatstheater herabgewirtschaftet wurde, will ich nach den Verantwortlichen (und das scheint mir nicht der Operndirektor zu sein) hier zumindest im geschriebenen Wort die Tomaten werfen. Intendant Spuhler gilt weniger als Intendant, denn als Kommunikator und Netzwerker, er sollte also eigentlich wissen, daß Aufrichtigkeit und Offenheit mehr als opportune Mittel der Kommunikation sein können. Hätte er doch zu Beginn seiner Intendanz die Opernbesucher darüber aufgeklärt, was seine Vorstellung vom Theater wirklich für die Oper bedeutet - nämlich weniger Vielfalt. Wie sagte der frühe Sozialdemokrat Ferdinand Lassalle so treffend: "Alle ... Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist."  So hat man nun den Salat und Tiefpunkt in der kommenden Saison: gerade noch 15 Opern kann man dem Publikum präsentieren, vor zehn Jahren waren es noch 23. Hier fliegen die Tomaten für ruhmlose und klägliche Repertoire-Planung.
                    
Die weltanschaulich verklemmte Intendanz
Man kann die letzten fünf Jahre als die Geschichte einer Intendanz erzählen, die den Anschein erweckt, gerne wichtig sein zu wollen und die ernst genommen werden möchte, die glaubt, daß sie moralisch und politisch andere belehren sollte, die sich erzieherisch versteht und gerne den Zeigefinger mahnend hebt und einem grundlegendem Irrtum erliegt: daß Theater als "Herstellungsort korrekter Gesinnung" (eine Formulierung der Wochenzeitung DIE ZEIT) und Versammlungsort der neuen Spießer dienen sollen. Früher saßen die Moralprediger auf der Kanzel der Kirche, heute anscheinend in der Intendanz der Theater. Das wahre politische Theater lebt von Ambivalenzen, doch in Karlsruhe gab es zu oft ein einseitiges und reduziertes Weltanschauungstheater.
  
Die ästhetisch defizitäre Intendanz
Man kann die Jahre von 2011 bis 2016 als die Geschichte einer Intendanz erzählen, die dem Mißverständnis unterlag, daß "gut gemeint" und "politisch korrekt" ein ausreichendes Kriterium für Theatermacher sein könnte. Eine körperliche Behinderung oder Krankheit hier, ein Migrant dort, etwas für den Feminismus und die homosexuelle Minderheit. Doch Handicaps und Minderheiten sind per se nicht interessant und man gibt kein Statement ab und bleibt künstlerisch impulslos, wenn man bspw. Flüchtlinge auf der Bühne wie dressierte Zirkustiere vorführt. Zu oft hat man Relevanz nur vorgetäuscht - Kapitalismus, Flüchtlinge und Minderheiten, Krisensymptomen kann man hinterherlaufen, was bis zur Ermüdung in Talk Shows breitgewalzt wird, damit kann man auch Theaterbesucher quälen - man kaschiert damit ein wenig das größte Defizit der letzten Jahre: eine künstlerisch-ästhetische Mittelmäßigkeit, die nur Symptome verarbeitet statt Ursachen zu erforschen und die Phantasie vernachlässigt. "Gut gemeint" ist kein Maßstab für performative Künste.  

Wenn Zwerge Schatten werfen
 
Man kann die Geschichte der aktuellen Intendanz als ein ständiges Sich-in-den-Mittelpunkt stellen erzählen. Man darf sich dabei gelegentlich schon für dumm verkauft vorkommen, wenn man liest, was man am Badischen Staatstheater so an Text fabriziert: das Märchen von den wundersam gesteigerten Zuschauerzahlen zum Beispiel, bei dem verschwiegen wird, daß man nun einfach anders zählt als früher und die Anzahl der Vorstellungen im Vergleich zu früher um 20% gesteigert hat, dafür aber die Auslastung gesunken ist. In dieser Hinsicht ist man auf unseligste Weise als Staatstheater "politisch" geworden: die Bedeutungsgrenzen werden so gedehnt, daß die eigene Version irgendwie darin Platz findet, irgendwelche Ahnungslosen werden schon darauf reinfallen. Das Karlsruher Staatstheater hat ein treues, aufgeschlossenes und leider zu leidensfähiges und nachsichtiges Publikum. Es besteht die Gefahr, daß die aktuelle Intendanz mit zu viel Aktionismus, zu vielen Kleinprojekten und Vorstellungen den Bogen überspannt und nachhaltige Schäden verursacht, die sich im kommenden Jahrzehnt bemerkbar machen werden. Deshalb noch einmal die Mahnung Lassalles: "Alle ... Kleingeisterei besteht in dem Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist."
            
Das Staatstheater als STAATstheater

Ist die Zukunft inspirationsloser, kreativitätsschwacher und überforderter Theater wirklich die Sozialarbeit, die den staatlichen Konformitätsdruck zur Formung höriger Bürger vorantreiben soll? Wer den Nutzen der Förderung der Hochkultur nicht mehr vermitteln kann, der kann sich also anderweitig als nützlich und wichtig erweisen und sich marktgerecht präsentieren? Das Konzept des politikhörigen Theaters als übersubventioniertes Kulturzentrum widerspricht dem Sinn und Zweck der finanziellen Förderung des Besonderen – der Hochkultur, deren technischen Ansprüchen nur Spezialisten mit jahrelanger Ausbildung gerecht werden können. Wieso soll man Millionen an Steuergeldern an ein Theater überweisen, daß nicht weiß, wozu es da ist und glaubt, daß Volkstheater eine eigene Sparte benötigt und Sozialarbeit leisten will, die andere Institutionen günstiger betreiben? Die wahre Rechtfertigung eines Staatstheaters liegt in der Hochkultur, denn es soll hochspezialisierten Musikern, Sängern, Tänzern, Schauspielern und Künstlern die Möglichkeit geben, ihre Kunstfertigkeit zu präsentieren. Die Steuergelder sind für das Spezielle gedacht, das Staatstheater ist der Ort für das Besondere, nicht für Durchschnittliches und Alltägliches. Die Intendanz muß die Künstler in den Mittelpunkt stellen und fördern, nicht sich selber. Und auch in Hinsicht auf die möglichen Kürzungen wird es entscheidend, das Wertvolle zu retten, nicht das Beliebige.

Fazit (1): Tatsächlich wäre das Theaterkonzept des Intendanten für ein Jahrzehnt problemlos zu verkraften, alles schön und gut, solange die Qualität stimmt, ist es egal, soll er halt seine Ziele verfolgen, danach wird wieder ein neuer Weg eingeschlagen. Doch die Intendanz ist für die Zuschauer defizitär: vom Abbau der Programmvielfalt in der Oper (unverzeihlich diese Orientierung weg von Stuttgart und Mannheim hin zum unangefochten Dritten mit Blick auf Pforzheim und Heidelberg) bis zum teilweise komplett überforderten Schauspiel - Oper und Schauspiel haben in Karlsruhe gelitten. Wie überhaupt die entscheidenden Sparten nicht besser gestellt wurden, sondern stagnieren oder in gewisser Hinsicht verkleinert wurden bzw. in der Qualität gemindert. Dafür noch ein weiterer virtueller Tomatenwurf für indiskutable Leistungen.
                                
Fazit (2): In welcher Tonlage sollte man die Geschichte der letzten fünf Jahre erzählen? So traurig und armselig mir viele Erlebnisse auch in Erinnerung geblieben sind, so lachhaft und indiskutabel erscheint mir vieles drumherum. Es kann nur eine Farce sein mit stark satirischem Einschlag, denn ernst nehmen kann ich die Hauptakteure in dieser Erzählung nicht. Die Realität erscheint mir bereits teilweise als Parodie auf den Theaterbetrieb.