Sonntag, 30. November 2014

Mussorgsky - Boris Godunow, 29.11.2014

Der Karlsruher Boris Godunow des Regisseurs David Hermann bleibt -wenn man seine Trojaner als Referenz heranzieht- eine leichte Enttäuschung. Ein wenig zu reduziert beim Bühnengeschehen und unklar in der Aussage: weder Intrigen noch die wankelmütige öffentliche Meinung, weder Unruhe oder Aufruhr noch klare Personenbeziehungen. Vor allem der Chor hat zu wenig zu tun und ist zu statisch.
Zumindest die Stimmungen sind fast immer vorhanden. Eine der stärksten Szenen spielt im Kloster: Avtandil Kaspeli als Pimen hat hier seinen großen Auftritt, für den er auch gestern wieder viele Bravos bekam. Die schwächste Szene ist im Wirtshaus: sie wirkt wie ein Fremdkörper, der Humor funktioniert nicht - über Napoleon lacht keiner, geschweige denn über die skurril überzeichneten anderen Figuren. Das gestrige Publikum vergaß sogar deshalb überwiegend, zur Pause zu applaudieren. Eine sehr kühle Atmosphäre und auch sonst eine eher müde Stimmung. An der musikalischen Darbietung lag das allerdings nicht.

Für die gestrige Aufführung hatte man zwei Gäste engagiert: ursprünglich sollte Alexei Tanovitski als Boris Godunow singen. Doch er erkrankte und auch der Ersatz kämpfte mit einer Erkältung und ließ vor Beginn eine kurze Ansage geben. Man sah dem Bassisten Orlin Anastassov nach der Vorstellung seine Unzufriedenheit mit seiner Disposition an, aber selbst leicht angeschlagen lieferte er eine beeindruckende Vorstellung: mächtig von Stimme und Statur und intensiv in der Darstellung. Er gab Boris Godunow eine Haltung und steigerte sich immer wieder zu beeindruckenden Momenten. Eine gute Wahl der Karlsruher Oper. Und auch der russische Tenor Viktor Antipenko als Grigori ließ aufhorchen: eine schöne Stimme mit Kraft und Eleganz! Schade, daß die gezeigte Urfassung der Oper für ihn nur eine kleine Rolle beinhaltet.
Dirigent Christoph Gedschold, Orchester, Solisten und Chor trugen ihren Anteil zu der sehr guten Aufführung bei. Musikalisch hat man seine Meriten, dennoch scheint die Karlsruher Oper im vierten Jahr der Intendanz Spuhler im Stimmungstief zu sein. Der neue Operndirektor muß nun vertriebenes Stammpublikum zurückgewinnen, indem er konsequent auf Qualität setzt. Es gilt wieder ein größeres Repertoire aufzubauen, mehr bei der Programmauswahl auf das Publikum zu achten und die richtigen Stimmen zu engagieren bzw. einzusetzen.

Freitag, 28. November 2014

Festspielhaus Baden-Baden: Bellini - I Capuleti e i Montecchi, 27.11.2014

Bellini statt Jelinek
Im Schauspiel des Karlsruher Staatstheaters gab es gestern eine spannende deutsche Erstaufführung als Premiere: Schatten von Elfriede Jelinek. Aber das Abo zu tauschen und dafür gestern lieber die kurze Strecke nach Baden-Baden zu fahren war eindeutig die richtige Wahl! Ungetrübtes Belcanto-Glück, dahinschmelzende Bellini-Melodien und ein alles überragender Star - das waren die qualitativ unschlagbaren Trümpfe, die übrigens nicht wenige Karlsruher an diesem Abend nach Baden-Baden lockten.

Der sanfte Sizilianer
Es war ein sehr kurzfristiges Engagement: gerade mal 50 Tage hatte Bellini, um für das Teatro La Fenice in Venedig eine Oper zur Karnevalssaison fertig zu stellen. Man studierte den 1. Akt schon ein, bevor der 2. komponiert wurde. Um so schnell fertig zu werden, griff Bellini auf eine damals übliche Praxis zurück: er bediente sich der existierenden Musik einer seiner Opern. Zaira wurde im Jahr zuvor in Parma ein Mißerfolg beim Publikum und kaum gespielt. Bellini glaubte an seine Musik und verwendete sie größtenteils wieder. Die Premiere von I Capuleti e i Montecchi am 11. März 1830 und die Folgevorstellungen wurden zu einem überwältigendem Erfolg. "Die Begeisterung kannte kein Maß mehr" berichtete die Presse danach. Ein Triumph für Bellini, auch in anderen Opernhäusern - exakt getroffener Zeitgeschmack der frühen Romantik, der berührte und begeisterte. Richard Wagner schrieb bewundernd 1834: "... werde ich nie den Eindruck vergessen, den in neuester Zeit eine Bellinische Oper auf mich machte, nachdem ich des ewig allegorisierenden Orchestergewühls herzlich satt war und sich endlich wieder ein einfach edler Gesang zeigt." Wagner war ein Fan des von ihm so bezeichneten "sanften Sizilianers".

Romeo und Julia ohne Shakespeare
I Capuleti e i Montecchi - dahinter verbergen sich Romeo und Julia, allerdings nicht auf Basis des Shakespeare Dramas. Gerade noch 5 Sängersolisten werden benötigt: Romeo (ein Mezzosopran) und Julia (Sopran)  haben den mit Abstand größten Gesangsanteil. Nur eine kleine Rolle hat Romeos Konkurrent Tebaldo (der hier eine schwache Kombination von Tybalt und Mercutio ist), Julias Vater Capellio und der Arzt Lorenzo sind kleine Nebenrollen. Das Libretto nimmt nicht Shakespeare als Vorlage, also bspw. keine Amme, kein Mönch, szenisch auch kein Fest, bei dem sich die Liebenden kennenlernen. Die Balance zwischen äußerer Handlung und innerem Geschehen ist verschoben, es dominieren Lyrismen und Stimmungen, die von überwiegend langgezogenen, eher langsamen Melodien geprägt sind. Romeo und Julia - eine Liebeselegie mit wenig Konfrontationen und nicht durch äußere Spannung geprägt. Richard Wagners Kennzeichnung "sanft" ist nachvollziehbar, aber der gestrige Dirigent zeigte auch, daß man die Dramatik aus dem Orchestergraben forcieren kann, indem man die Tempi nicht schleifen lässt.

Oper mit Star
Für diese Koproduktion mit der Oper in Genf hat man einen Star engagiert: Elīna Garanča - eine wunderbar ausdrucksstarke  und voluminöse Stimme voller Schönheit und Eleganz und frei jeder Anstrengung, entspannt und weich. Allein für ihre Stimme lohnte sich schon der gestrige Abend in Baden-Baden. Doch auch die Giulietta von Ekaterina Siurina ließ beglückt aufhorchen. Die Russin singt international an den großen Opernhäusern wie bspw. der MET, der Scala, in Wien, London, Paris und München und sang zusammen mit Garanča  Capuleti e i Montecchi bereits in Berlin. Beide harmonierten perfekt und ließen keine Wünsche offen.
Für die kleinere Rolle des Tebaldo hat man den Tenor Yosep Kang von der deutschen Oper Berlin engagiert, der das Duo klangschön mit offener und nur in den obersten Höhen leicht angestrengter Stimme ergänzte. Anstelle des ursprünglich vorgesehenen Genfer Orchesters spielte die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern mit hoher Klangkultur. Die Herren des Genfer Opernchores sowie die weiteren Sänger vervollständigten diesen geglückten Abend.
Eine weitere Entdeckung war gestern der britische Dirigent Karel Mark Chichon der sehr prägnant und mit klarer Linie dirigierte und dabei das Orchester nie breiig oder sentimental werden ließ.

Fazit: Eine hochwertige Aufführung der selten gespielten Bellini-Schönheit

PS: Der Saarländischen Rundfunk hat die Aufführung aufgezeichnet und überträgt sie in seinem zweiten Programm am Samstagabend, 29.11.2014. Am 03.01.2015 folgt eine Ausstrahlung beim DLF.

Besetzung:
Romeo: Elīna Garanča
Giulietta: Ekaterina Siurina
Tebaldo: Yosep Kang
Capellio: Mathias Hausmann
Lorenzo: Nahuel Di Pierro

Dirigent: Karel Mark Chichon
Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern
Chor des Grand Théâtre de Genève
Eine Koproduktion mit dem Grand Théâtre de Genève.

Montag, 24. November 2014

Theo van Gogh - Das Interview / Lot Vekemans - Gift, 23.11.2014

Ein zweifaches Doppel: zwei spannende Stücke holländischer Autoren für jeweils zwei Schauspieler an einem Abend, die zukünftig auch einzeln gezeigt werden. Das Ergebnis ist höchst unterschiedlich: Das Interview ist geglücktes Theater, Gift hingegen enttäuscht auf ganzer Linie!

Sonntag, 16. November 2014

John Cranko - Der Widerspenstigen Zähmung, 15.11.2014

Jubel und Applaus
Birgit Keil und das Badische Staatsballett bringen mit Der Widerspenstigen Zähmung einen Klassiker des Balletts von Keils Mentor und Ballettlegende John Cranko auf die Karlsruher Bühne - und es ist gekommen, wie es kommen mußte: alle jubeln und  strahlen und sind begeistert. Ein durch und durch humorvolles Ballett, das viel zu schnell vorüber ist. Und wer schon immer wissen wollte, wieso Premierenkarten ein besonderes (und etwas kostspieligeres) Vergnügen sind, der konnte gestern anhand der Vorfreude, Spannung, der wunderbaren Stimmung und dem Enthusiasmus beim Publikum unmittelbar mitverfolgen, wie viel Glück und Harmonie gelungene Premierenstimmung in sich trägt. (Zumindest etwas von diesem Erfolg wünscht man in Karlsruhe auch Oper und Schauspiel, aber da liegt noch ein langer Weg mit viel Änderungsbedarf vor diesen Sparten, bevor man wieder annähernd diese Akzeptanz und Zuneigung des Publikums erringen kann. Doch auch die Schwäche der Oper hat anscheinend ihre Auswirkung aufs Ballett: wenn sich die Anzahl der spartenübergreifenden Abonnements verringert, bleiben auch öfters Karten im Ballett übrig.)

Dienstag, 11. November 2014

Bruna Andrade als FAUST-Preisträgerin

Alle freuen sich mit Bruna Andrade, die letztes Wochenende den FAUST-Preis als beste Tänzerin im Fall M. des Mythos-Ballettabends hochverdient gewonnen hat. Sogar die Frankfurter Allgemeine hat das im Internet kommentiert:

"FAUST-Preis für die brasilianische Ballerina Bruna Andrade
...die zum Glück in Karlsruhe tanzt, und nicht in Rio de Janeiro. Warum sie den Preis als "Beste Darstellerin Tanz" so verdient.
"

Mehr hier: http://blogs.faz.net/tanz/2014/11/10/faust-preis-fuer-die-brasilianische-ballerina-bruno-andrade-645/

Und ebenso preiswürdig und nicht zu vergessen: Die Choreographie, die es Bruna Andrade ermöglichte, den Preis zu gewinnen, ist vom Karlsruher Tänzer und Hauschoreographen Reginaldo Oliveira.

Dienstag, 4. November 2014

2. Symphoniekonzert, 03.11.2014

Ein Werk der Komponistin Vivian Fung war bereits letzte Spielzeit in einem Symphoniekonzert zu hören: ihr Harfenkonzert begeisterte und so war es nur folgerichtig, eine weitere Komposition dem Karlsruher Publikum vorzustellen: Dust Devils aus dem Jahr 2011 ist ein knapp zehnminütiges Werk, das all das beeindruckend zeigt, was viele sehr gute Komponisten heute können: eine meisterhafte Orchestrierung, verschiedene Stimmungen und Effekte, spannend arrangiert mit viel Schlagzeug-Einsatz und zum Abschluß ein durch Blechbläser verstärktes lautes Ende. Ein wenig könnte man meinen, daß das -zweifellos sehr gut gemachte- Gebrauchs- oder Filmmusik ist,  Fungs Harfenkonzert hatte etwas mehr Individualität und vielleicht sollte man eher ein weiteres Solokonzert für eines der nächsten Konzerte aussuchen.

Mieczysław Weinberg (*1919 †1996) ist durch seine Oper Die Passagierin einem größerem Publikum bekannt geworden und viele seiner Werke (mehr als 150 Kompositionen, darunter 22 Symphonien) warten auf ihre Entdeckung. Wie der frühere Karlsruher Dramaturg Bernd Feuchtner im sehr interessanten Programmheft beschreibt, wurde Weinbergs Musik in der UdSSR aufgeführt, aber der Westen ignorierte diese so gar nicht avantgardistische Musik, "die sich an der Symphonik des 19. Jahrhunderts orientierte". Nur Schostakowitsch hat sich durchgesetzt, Komponisten wie Weinberg oder Khatchaturian fristen auf den Konzertbühnen bis heute ein Schattendasein. Weinbergs Violinkonzert g-Moll op. 67 (UA 1961) war gestern in deutscher Erstaufführung zu hören. Es ist ein Konzert mit Substanz und Individualität, auch wenn man gelegentlich doch einen Doppelgänger Schostakowitschs zu hören vermeint: den Beginn des 2. Satzes kann man bspw. durchaus verwechseln, doch muß man beachten, daß Schostakowitsch auch von Weinberg beeinflusst wurde und beide sich sehr gut kannten. Die Abhängigkeiten sind durchaus beidseitig möglich: Schostakowitsch klingt vielleicht auch nach Weinberg.
Violinist Linus Roth hat Weinberg 2010 für sich entdeckt und es sich zur Aufgabe gemacht, Weinberg bekannter zu machen. Er spielte bereits zwei CDs mit seiner Musik ein: das Violinkonzert und sechs Violinsonaten. Roth hinterließ mit dem virtuos fordernden Konzert gestern einen sehr guten Eindruck (und einen sehr schönen Violinklang! Seit 1997 spielt Linus Roth die Stradivari „Dancla“ aus dem Jahr 1703, eine Leihgabe der L-Bank Baden-Württenberg). Nach unruhigen und eilendem Beginn wandelt sich das erst entschlossen wirkende Konzert schnell in einen getrieben und flüchtend wirkenden Modus. Die beiden ohne Pause gespielten mittleren Sätze sind langsam, innerlich und wehmütig; vor allem der dritte Satz steigert sich zu einem wunderbar innigen Geigenspiel. Der entspannte und  positive Schlußsatz lässt die Violine singen und dann langsam verklingen. Ein lohnenswertes Konzert und eine schöne Entdeckung, die sich vielleicht nicht beim ersten Hören umfänglich erschließt, aber der Mühe des Einhörens wert ist.
Nach einer Danksagung an das Badische Staatstheater für die Chance, Weinbergs Konzert vor Publikum zu spielen, gab Roth als Zugabe die Sarabande aus Bachs 2. Partita BWV1004.
 
Nach der Pause dann ein beliebter Favorit im Konzertrepertoire: Modest Mussorgskys Bilder einer Ausstellung ist das Ergebnis doppelter Individualität: Mussorgskys großartiger kompositorischer Eingebung und Maurice Ravels imposanter Orchestrierungsphantasie, die sich gegen andere Versionen immer noch souverän durchsetzt. Und auch gestern gab es viel Applaus, Bravos und Jubel für eine mitreißende, orchestral sehr gute, aber nicht ganz fehlerfreie Aufführung der Staatskapelle.

Wir schreiben das Jahr 2014. Zum ersten Mal in der über 300jährigen Geschichte des Karlsruher Orchesters stand eine Dirigentin am Pult der Badischen Staatskapelle: Mei-Ann Chen ist 1973 in Taiwan geboren und kam 1989 in die USA, wo sie als Dirigentin etabliert ist. Ihr Dirigierstil erinnert ein wenig an Leonard Bernstein: sehr körperbetont modelliert sie ihre Vorstellungen nicht nur mit voluminösen Einsatz von Armen und Händen, sondern auch durch starke Bewegungen des Körpers und anscheinend auch durch Mimik. Publikum und Orchester spendeten ihr herzlichen Applaus.

Ein sehr interessantes Konzert, das viele positive Eindrücke hinterließ und hoffentlich Folgen hat: sowohl Fung als auch Weinberg (bspw. mit seinem Cellokonzert oder eine seiner 22 Symphonien) könnten auch zukünftig wieder auf dem Programm stehen, sowohl Mei-Ann Chen und Linus Roth sollten wieder eingeladen werden.