Freitag, 29. März 2013

Wagner - Die Walküre, 28.03.2013

Es ist vielleicht die undankbarste Aufgabe für einen Künstler, wenn er vor ein Publikum tritt, das emotionale Erinnerungen an Werke, Inszenierungen und/oder Interpreten hat. In Karlsruhe werden das evtl. einige Zuschauer aus Interpretationssicht bei folgenden Beispielen nachvollziehen können: Kathleen Cassello war unvergleichlich als Lucia di Lammermoor, Günter von Kannen ein unvergessen charismatischer Hans Sachs, Konstantin Gorny war grandios als Méphistopheles (Gounod) (u.v.a.m.!), Barabara Dobrzanska ist die Idealbesetzung für viele Puccini Rollen (u.v.a.m!), Bernhard Berchtold war erschütternd gut als Gustav von Aschenbach, Lance Ryan ist Siegfried (in Karlsruhe sang er diese Rolle zum ersten Mal und über Jahre immer wieder: die Erinnerung daran ist lebendig und wach), .....

Viele regelmäßige Opernbesucher werden solche Vorstellungen -emotionale Erinnerungen- kennen und bei der Walküre sind Edith Haller und Klaus Florian Vogt als Sieglinde/Siegmund (die Karlsruher Erstbesetzung dieser Inszenierung in der Spielzeit 2005/2006) unvergessen und zugegeben ein sehr hoher Maßstab. Als Zuschauer muß man sich davor hüten, solche Erinnerungen zu verklären und damit zu sentimentalisieren, denn dann ist man an einem Punkt des inneren Stillstands, der nur noch in Reminiszenzen schwelgt. Ein emotionales Erinnerungsvermögen kann gelegentlich ein Hindernis sein, aber es ist auch ein Kompass der eigenen Begeisterungsfähigkeit.

Nach dieser längeren Einführung ist es vielleicht verständlich, daß  man gestern eventuell überrascht sein konnte: Was für eine schöne Walküren-Vorstellung! Bereits die Premiere im Herbst 2005 war umjubelt und sie stellt immer noch den schönsten und gelungensten Teil der Denis Krief Inszenierung dar. Als gestern nach über fünf Stunden um 23.15 der letzte Vorhang fiel, hatte es viel Jubel und viele positive Eindrücke: gegeben
Linda Watson hat schon oft in Bayreuth gesungen und man konnte gestern staunen, mit welcher Souveränität und Stärke sie als Brünhilde auf der Bühne steht. Und wo hört man sonst eine so die Szene beherrschende, unerbittliche und hochdramatische Fricka wie die der großartigen Ewa Wolak? Heidi Melton  hat sich in kürzester Zeit einen Platz im Herzen des Karlsruher Publikums ersungen und spielt ihre großen Rollen -gestern Sieglinde- mit bewundernswerter Selbstverständlichkeit. Renatus Meszar ist spätestens mit seinem gestrigen Auftritt als Wotan in Karlsruhe angekommen - viele warten jetzt auf seinen Hans Sachs in den angekündigten Meistersängern. Avtandil Kaspeli gab mit dunkler Stimme einen düsteren und authentischen Hunding. Und die größte Herausforderung bestand wahrscheinlich für John Treleaven - immerhin hatte er mit Klaus Florian Vogt und Lance Ryan aktuelle Bayreuth-Sänger als Vorgänger in der Rolle des Karlsruher Siegmunds. Treleaven zeigte eine beachtliche Leistung und auch er ist in Karlsruhe angekommen - im Sommer wird er als Peter Grimes in Brittens gleichnamiger großer Oper zu hören sein und man kann ihm nur wünschen, daß er so viel Applaus und Zustimmung wie gestern für diese Rolle bekommen wird. Justin Brown und die Badische Staatskapelle musizierten wieder sängerfreundlich und transparent und bekamen eine extra Portion Applaus vom glücklichen Publikum.

Was für eine schöne und interessante Walküren-Vorstellung!
Der Ring in diesem Jahr scheint unter einem sehr guten Stern zu stehen.


PS:
Aus familiären Gründen verpasse ich Siegfried am Ostersamstag und für Ostermontag habe ich bereits Karten für Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker in Baden-Baden und werde auch die Götterdämmerung nicht besuchen. Ich
würde mich über Stimmungsbilder und Kommentare zu den beiden Vorstellungen sehr freuen, insbesondere über die Sänger - vor allem Christian Franz als  Siegfried, Christian Hübner als Hagen und Linda Watson als Brünnhilde.


Besetzung & Team
Siegmund: John Treleaven
Hunding: Avtandil Kaspeli
Wotan: Renatus Meszar
Sieglinde: Heidi Melton
Brünnhilde: Linda Watson
Fricka: Kammersängerin Ewa Wolak
Helmwige: Christina Niessen
Gerhilde: Veronika Pfaffenzeller
Ortlinde:Ekaterina Isachenko
Waltraute: Katharine Tier
Siegrune: Stefanie Schaefer
Roßweiße: Sarah Alexandra Hudarew
Grimgerde: Hatice Zeliha Kökcek
Schwertleite: Rebecca Raffell

Dirigent: Justin Brown
Regie, Bühne und Kostüme: Denis Krief

Donnerstag, 28. März 2013

Wagner - Das Rheingold, 27.03.2013

Vor zwei Jahren zu Ostern 2011 gab es den letzten Ring-Zyklus in Karlsruhe - damals mit Höhen und Tiefen und vor allem einem herausragenden Orchester und Dirigenten Justin Brown. Es gab zwar gestern gelegentlich verwackelte Stellen, aber es war erneut beeindruckend, wie ökonomisch Brown am Anfang das Orchester führt, um später immer stärker die Zügel zu lockern und die Musiker aufspielen zu lassen und so den Vorabend-Charakter des Rheingolds betont und die Vorfreude für die heutige Walküre weckt.

Dieses Jahr ist der größte Teil der Gesangsrollen neu besetzt.
Oleg Bryjak gehörte zum Ensemble des Badischen Staatstheaters von 1991 bis 1996 und sang die Rolle des Alberich in der Karlsruher Ring-Inszenierung von Jean-Louis Martinoty und später noch als Gast bei der Wiederaufnahme während der Intendanz Pavel Fiebers. Ihm war gestern die jahrelange Erfahrung als Alberich anzumerken: ein starker Auftritt, der ganz auf Ausdruck ausgerichtet war. Für Bryjak eine Paraderolle.
Nicht neu besetzt war Matthias Wohlbrecht als Loge, der gestern bewies, wieso er seit Jahren erfolgreich diese Rolle singt. Auch für ihn eine Paraderolle.
Beim neu besetzten Renatus Meszar konnte man gelegentlich den Eindruck haben, daß er sich stimmlich nicht ganz wohl fühlte als Rheingold-Wotan. Man kann gespannt sein, wie er sich heute Abend in der Walküre präsentiert.
Als Fricka debütierte Ewa Wolak (sie war sonst als Erda zu hören) und sie nahm die Rolle sofort in Besitz und drückte ihr ihren unverkennbaren stimmlichen Stempel auf. Eine sehr schöne Repertoire-Erweiterung. Auf das Duell Wotan-Fricka im zweiten Akt der Walküre kann man sich heute ebenfalls freuen.
Aufhorchen ließen auch Seung-Gi Jung als Donner und Lucas Harbour als Fasolt, die in ihren Rollen stimmlich durchgehend präsent waren.

Eine homogene und starke Ensemble-Leistung. Lauter Applaus vor ausverkauftem Haus - ein spannender Start in den neuen Zyklus.

Besetzung
Wotan: Renatus Meszar
Donner: Seung-Gi Jung
Froh: Steven Ebel
Loge: Matthias Wohlbrecht
Alberich: Oleg Bryjak
Mime: John Pickering
Fasolt: Lucas Harbour
Fafner: Avtandil Kaspeli
Fricka: Ewa Wolak
Freia: Christina Niessen
Erda: Rebecca Raffell
Woglinde: Ina Schlingensiepen
Wellgunde: Stefanie Schaefer
Flosshilde: Katharine Tier

Dirigent: Justin Brown
Regie, Bühne und Kostüme: Denis Krief

Freitag, 22. März 2013

Shakespeare - Wie es euch gefällt, 21.03.2012

Oh je! .... Vergleiche können schmerzen, vor allem wenn sie stets einseitig zu Ungunsten ausfallen. Aber dennoch sind Vergleiche ein zuverlässiger Indikator, um das Gute vom Besseren zu unterscheiden. Bei der gestrigen Premiere waren Vergleiche unvermeidbar: die Messlatte lag hoch ... leider zum wiederholten Male zu hoch für das Karlsruher Schauspiel. In den letzten 15 Jahren wurde man als Zuschauer von Shakespeare-Komödien im Badischen Staatstheater verwöhnt: Wie es euch gefällt war zuletzt 1998 in der turbulenten und witzigen Regie des damaligen Schauspielleiters Peter Schroth ein phantasievolles Theaterfest, 2006 gab es einen Sommernachtstraum, der reich an Höhepunkten war und den Lachmuskeln alles abforderte und 2008 folgte eine sehr schöne und geglückte Inszenierung von Was ihr wollt. Alle drei setzten Maßstäbe, die leider gestern eine unüberwindbare Hürde darstellten. Die gestrige Premiere konnte dem Vergleich leider nicht standhalten. Shakespeare 2013 in Karlsruhe: kein Witz, kein Tempo, kein Rhythmus, sehr wenig Einfälle und nur teilweise Spielfreude.

Sonntag, 17. März 2013

Spörli - In den Winden im Nichts, 16.03.2013

Nach vielen Handlungsballetten gibt es am Badischen Staatstheater nun auch wieder eine handlungsfreie Choreographie zu sehen: «In den Winden im Nichts» ist ein kurzes, kurzweiliges und sublimes Ballett, musikalisch nur begleitet von einem Cello.

Heinz Spoerli: Tänzer, Choreograph, Ballettleiter
Der 1940 in Basel geborene Spoerli war nach seiner Karriere als Tänzer ein viel gerühmter und gelobter Ballettleiter, der große Erfolge mit den Kompagnien in Basel, Düsseldorf, Berlin und zuletzt 16 Jahre in Zürich erzielte. Er choreographierte klassische Ballette (z.B. Nußknacker, Schwanensee, Giselle, Coppelia, La fille mal gardée, ...) und abstrakte Ballette, bspw. zur Musik Johann Sebastian Bachs, aber auch Webern, Schönberg und Mahler.
Birgit Keil tanzte in mehreren seiner Ballette, zum ersten Mal schuf Spoerli 1978 ein Choreographie für Keil: die Mozart-Quintette bei den Ludwigsburger Festspielen. Später tanze Keil in Spoerli-Balletten zur Musik von Wagner (1979), Nono (1980), Brahms und Berg (1985)        
     
Vier mal choreographierte Spoerli Bachs Musik: die Goldberg Variationen (1993), «Wäre heute morgen und gestern jetzt« (2009) zu Musik aus Konzerten, Kantaten und Messen für Orchester und Sänger und die sechs Suiten für Cello: 1999 die Suiten Nr. 1,4, 5 unter dem Titel «… und mied den Wind», 2003 folgten die Suiten 2, 3 und 6 als «In den Winden im Nichts».  Bachs Partitur zu seinen sechs Cello Suiten besteht aus jeweils sechs einheitlich aufgebauten Sätzen: einem Prélude und 5 Tanzsätzen: 1. Prélude, 2. Allemande, 3. Courante, 4. Sarabande, 5. Menuett (Suiten 1 und 2), Bourrée (Suiten 3 und 4) oder Gavotte (Suite 5 und 6), 6. Gigue. Der Cellist Alexandre Vay betont mit vollem, warmen Klang das tänzerische Element der Suiten und bekam für sein tadelloses Spiel gestern viel Premierenapplaus.
   
In den Winden im Nichts
Es sind 3 Cello-Suiten zu 6 Sätzen, also 18 unterschiedliche Musiksätze zu hören, bei denen durch ständig sich wechselnde Besetzungen und Konstellationen und eine rasche Abfolge (die einzelnen Sätze dauern zwischen 2 und 7 Minuten) ein abwechslungsreicher und kurzweiliger Abend entsteht. Spoerlis Choreographie vereint Soli, Duette, Trios und Ensembles zu einer großen Vielfalt und zeigt unterschiedlichste Ausdruckswelten, bei denen es kaum möglich ist alle passenden Adjektive aufzuzählen, die bei diesem Abend das Bühnengeschehen zutreffend beschreiben: Momente von hoher ästhetischer Kraft und Wirkung, ein Auf-und-Ab voller Harmonie und Ausgewogenheit bei der die Musik durch einen choreographischen Mehrwert noch hinzugewinnt.
Die leere Bühne wird im Hintergrund dominiert von einem schwebenden Ring, der in wechselnden Farben leuchtet. Dazu wird die Bühne farbig ausgeleuchtet: in rot, grün und blau und ergänzt von farbigen Kostümen in rot, grün, blau und schwarz.
Spoerlis durchgestaltete fließende Bewegungen erfordern immer wieder Athletik, manche Bewegungen erinnern an Bodenturnen, andere in Gruppenszenen an Synchronschwimmen. «In den Winden im Nichts» ist eine konzentrierte Choreographien ohne Leerlauf (und ohne Pause: ca 65 Minuten) und ohne einfache Bewegungen, sondern durchgehend fordernd und anspruchsvoll. Die benötigten 28 Tänzer der Karlsruher Ballet Kompagnie lösten ihre Aufgabe mit großer Bravour und vielen bemerkenswerten Momenten: Bruna Andrade mit großer Ausdruckskraft, ebenso Rafaelle Queiroz, Pablo dos Santos sowie Zhi Le Xu mit beeindruckenden Sprüngen. Doch besonders ein Tänzer war gestern verdient im Mittelpunkt:

Hommage an Flavio Salamanka   
Das Karlsruher Ballett hat einige Tänzer, die nun schon im zehnten Jahr in Karlsruhe aktiv sind: z.B. die bildhübsche Jussara Fonseca, Sabrina Velloso oder die Solistinnen Barbara Blanche und Patricia Namba. Und Flavio Salamanka, der mit hoher Konstanz und Zuverlässigkeit seine Leistung bringt und das letzte Jahrzehnt wie kein anderer Tänzer geprägt hat: mit tadelloser Technik, mühelos eleganten und geschmeidigen Bewegungen, fließenden Linien und hoher Sprungsicherheit ist er zu Recht der dominierende Solist der Karlsruher Kompagnie und ein verlässlicher Partner für die Solistinnen. Gestern wurde er nach der Aufführung auf der Bühne von Intendant Peter Spuhler zum Kammertänzer ernannt - ein Titel, der in Karlsruhe zum ersten Mal vergeben wurde. Nach der eindrucksvollen Premiere war Salamankas Ernennung der emotionale Höhepunkt des Abends und all jene, die Birgit Keils nun fast zehnjährige Arbeit in Karlsruhe verfolgt haben, werden Salamanka die Ehrung von Herzen gegönnt haben: Glückwunsch und BRAVO!

PS: Eine schöne Überraschung im Zuschauersaal - der beliebte frühere erste Solist Diego de Paula war anwesend.

Freitag, 8. März 2013

Karlsruher Theaterglück

Fernab von allen Krise-der-Theater-Diskussionen muß man beispielhaft dieses Wochenende im Badischen Staatstheater beobachten:

Im Großen Haus kommen Der Vetter aus Dingsda (Freitag), Tosca (Samstag) und die Zauberflöte (Sonntag) - und alle drei sind ausverkauft - oder so gut wie. Wenn man bedenkt, daß die Inszenierungen von Tosca und Zauberflöte bereits über 10 Jahre im Programm sind, dann sieht man, daß Karlsruhe ein Theater-freundliches, ja Theater-begeistertes Publikum hat.

Aber nicht nur in der Oper, auch im Schauspiel steht ein gutes Wochenende bevor: Im Studio sind Agnes (Freitag) und Der Vorname (Sonntag) ebenfalls ausverkauft, im Kleinen Haus sind Alice (Freitag), Die Möwe (Samstag) und Der Einsame Weg (Sonntag) gut besucht.

Über 4000 Zuschauer in 3 Tagen - liebes Badisches Staatstheater, einige wenige denken nun vielleicht, das wäre das Ergebnis langwieriger theoretischer Überlegungen zur Programmzusammenstellung, aber tatsächlich ist eine Verbeugung vor euren Künstler, Technikern und Mitarbeitern fällig UND vor allem eine Verbeugung vor dem Karlsruher Publikum, das mit soviel Geduld, Interesse und Enthusiasmus für ihr Staatstheater in das Haus an der Baumeisterstraße strömt - und das nicht nur seitdem die "Helden" der neuen Intendanz versuchen, ihre Duftmarken zu setzen, sondern schon seit Jahrzehnten. Solche ausverkauften Wochenenden sind nichts Neues in der Fächerstadt und man könnte den Eindruck gewinnen, daß den Karlsruher Bürgern der hohe Stellenwert ihres Staatstheaters gerade wieder stärker bewußt wird. Karlsruher Theaterglück ....

Montag, 4. März 2013

Partizipatives Schauspiel

Die Franfurter Rundschau berichtet über neue Strategien zur Publikumsgewinnung.
Auch der Karlsruher Schauspielleiter Jan Linders wird zitiert: «Unser Ziel ist es, das Theater stärker in die Stadt hineinzutragen».

Es wird berichtet wie man locker mit allerlei Überraschungen Hemmschwellen und Kontaktscheu abbaut und man beim Graffiti-Wettbewerb, Spielszenen in der Straßenbahn und Flashmobs über Mitwirkungsangebote Interessenten gewinnen will.

Mehr dazu hier: http://www.fr-online.de/panorama/twitter--kochen--disco---ungewoehnliches-im-theater,1472782,21998098.html

Interessanterweise wird nicht über nachhaltige Erfolge berichtet, sondern nur über Techniken zur Aufmerksamkeitsgewinnung.
Und ein wenig könnte man den Verdacht haben, daß man damit kein neues Publikum gewinnt, sondern nur ein anderes und dafür andere Besucher verliert .....